Hauptgeschäftsführer des vbm – Verband der Bayerischen Metall- und Elektro-Industrie e. V. Bertram Brossardt: „Die Industrie ist im freien Fall“
Interview mit Hauptgeschäftsführer des vbm Bertram Brossardt
Was für eine Woche! Was überwiegt bei Ihnen? Sorge wegen Trump? Erleichterung über das Ampel-Aus? Ärger über die Unsicherheit?
Am Mittwoch war ein doppelter schwarzer Tag: Die Ampel ist zerbrochen, und es wurde bekannt, dass Trump in den USA gewählt wurde. Man muss wissen: 12,4 Prozent der bayerischen Exporte gehen in die USA, und nun drohen Zölle. Das heißt, wir sitzen jetzt in einer doppelten Falle: In China, das ist nach den USA der zweite große Exportmarkt, kämpfen wir ja jetzt schon mit einem Zollproblem.
Sollten die USA Zölle einführen, rechnet das Ifo-Institut mit einem Schaden von 33 Milliarden Euro und die deutschen Exporte in die USA dürften demnach um etwa 15 Prozent zurückgehen.
Ich denke, das ist eine realistische Einschätzung. Gleichzeitig brauchen wir jetzt eine Perspektive für unsere Beziehungen zu den USA. Viele werden es vergessen haben: Wir hatten vor einigen Jahren Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP – am Ende wurde aber nur über das Chlorhuhn diskutiert. Das Abkommen scheiterte. Wäre es abgeschlossen worden, hätten wir jetzt diese Probleme nicht.
Kann man ein solches Abkommen noch einmal angehen?
Das ist für mich eine der Pflichtaufgaben der EU-Kommission und einer künftigen Bundesregierung.
Trump dürfte eine Delegation aber nicht mit offenen Armen empfangen.
Nur, weil sich unsere Verhandlungsposition verschlechtert hat, heißt das noch lange nicht, dass man es nicht trotzdem versuchen sollte. Aber man kann auch auf kleinerer Ebene viel erreichen: Beispielsweise durch bayerische Beziehungen zu einzelnen US-Staaten.
Stattdessen hat Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger angekündigt, für Berlin kandidieren zu wollen. Sollte er sich besser jetzt um seinen Job in Bayern konzentrieren?
(denkt nach)
Tut er das überhaupt?
In ein paar Dingen ist der Wirtschaftsminister echt gut drauf, etwa in der Mittelstandspolitik. Seine Gesamtstrategie verstehe ich nicht immer. Starke Industriepolitik wäre wichtig – da sind wir gerade alles andere als in einer guten Lage.
Wie ist denn die Situation in der bayerischen Wirtschaft?
Der Industrie geht es gnadenlos schlecht, wir befinden uns im freien Fall. Die Produktion ist gesunken, die Auftragseingänge sind rückläufig. Allein im August haben wir in der Metall- und Elektroindustrie 2000 Arbeitsplätze verloren, 19000 werden aktuell in Bayern abgebaut. Im nächsten Jahr gehen die Planungen sogar darüber hinaus.
Die große Welle kommt noch?
Genauso ist es. Im kommenden Jahr werden weitaus mehr Arbeitsplätze gestrichen werden.
Was sind die Ursachen?
Erstens die teure Energie, zweitens die Bürokratie, und drittens ist der Standort Deutschland viel zu teuer – dazu gehören auch die Lohnkosten. Wenn ich die Kosten am Standort Schweinfurt oder am Standort Nürnberg mit einem Standort in Italien, Osteuropa oder Amerika vergleiche, sehe ich sofort, dass dort günstiger produziert wird. Also ziehen die Unternehmen weg. Und jetzt steigen auch noch die Sozialversicherungskosten, was die Produktion weiter verteuert. Hier hat die Bundesregierung jahrelang nichts getan.
Heißt das, Sie sind erleichtert, dass die Ampel-Koalition jetzt Geschichte ist?
Nein. Eine handlungsfähige Regierung in Berlin ist für uns von zentraler Bedeutung. Man muss aber auch sagen, dass es in der Ampel keine zukunftsweisenden Entscheidungen mehr gegeben hat. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.
Was wäre also zu tun?
So schnell wie möglich zu einer handlungsfähigen Regierung zurückzukehren. Wir brauchen rasch Neuwahlen.
Einer der Auslöser des Koalitionsbruchs war ein Papier von FDP-Chef Christian Lindner, in dem er eine grundlegende Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik gefordert hat. Eigentlich hat er Ihnen doch aus der Seele gesprochen?
Ja, im Grunde stand da im Wesentlichen drin, was wir auch denken. Für Verwirrung hat geführt, dass es noch ein Habeck-Papier gab sowie ein steuerpolitisches Konzept der SPD. Wir brauchen aber keine Bundesregierung, die gegensätzliche Papiere produziert, sondern eine, die auch handelt. Unsere Unternehmen brauchen Planungssicherheit.
Wenn Sie bei der neuen Bundesregierung drei Wünsche frei hätten: Welche wären das?
Erstens muss die Steuerfrage gelöst werden: Körperschaftssteuer runter auf 25 Prozent, Solidaritätszuschlag abschaffen. Zweitens brauchen wir ein Grundkonzept, um die Sozialversicherungssysteme zukunftsfest zu machen. Und drittens muss der Staat neu justieren, was reguliert wird – und was nicht. Die neue Regierung muss systematisch Bürokratie abbauen.
Mitten in dieser Gemengelage verhandeln Sie aktuell um einen Tarifabschluss, die IG Metall fordert sieben Prozent mehr Lohn.
Sieben Prozent mehr Lohn auf ein Jahr! Das ist völlig aus der Zeit gefallen, da sich die Wirtschaft im freien Fall befindet! Die IG Metall muss nun in einen Prozess eintreten, um ein möglichst zügiges Ende herbeizuführen.
Heißt zügig, dass es am Montag zu einer Einigung kommen wird?
Zumindest werden wir am Montag versuchen, das Problem zu lösen. Anders als früher haben wir inzwischen eine viel bessere, vertrauensvolle Diskussionskultur. Angesichts der Wirtschaftslage können wir uns eine weitere Eskalation auch nicht erlauben.
Können die politischen Parteien in diesem Punkt etwas von den Tarifparteien lernen?
Ja – und in diesem Punkt bin ich mit den Gewerkschaften einer Meinung. Ich habe erst am Donnerstagmorgen mit Horst Ott von der IG Metall Bayern telefoniert, weil ich wissen wollte, ob sich durch das Aus der Ampel- Koalition für uns in den Tarifverhandlungen etwas ändert. Er meinte nur: Das Einzige, was sich geändert habe, sei die Tatsache, dass unsere Verantwortung noch größer geworden ist. Und genau so sehe ich das auch.
Dieses Interview ist in der Münchner Merkur erschienen.