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Nordmetall-Verhandlungsführerin Lena Ströbele: „Wir verhandeln auf Augenhöhe”

Nordmetall

Interview mit Nordmetall-Verhandlungsführerin Lena Ströbele

Frau Ströbele, wieso machen solche Tarifverhandlungen eigentlich Spaß?
Die machen mir Spaß, weil ich das Gefühl habe, damit etwas bewegen und beeinflussen zu können. Das mache ich sowohl beruflich als auch in Ehrenämtern gern, sofern es die Möglichkeit dazu gibt. Daheim auf dem Sofa fällt es aus der Entfernung immer leicht, zu sagen, was man doof findet. Besser ist es doch, selbst Antworten zu geben, selbst in die Verantwortung zu gehen und mitzugestalten. Natürlich bedeutet das auch, dass es mal nicht so klappt, wie man es sich vorstellt, aber dann habe ich es zumindest versucht. Außerdem haben wir uns bei Nordmetall zu einem coolen Team entwickelt.

Was meinen Sie mit cool?
In den fünf Jahren, in denen ich diese Aufgabe mache, ist es das gleiche Team, das sehr gut und eng zusammengewachsen ist. Dadurch ist der Austausch ein anderer geworden. Und in diesem Team sind Vertreter aus den verschiedensten Unternehmen innerhalb der Branchen und aus Unternehmen der unterschiedlichsten Größen. Von dieser Vielfalt profitieren wir, nicht nur in den Tarifrunden. In der Zeit dazwischen gibt es auch die Nordmetall-Verbandsarbeit und das Netzwerk – all das ist sehr gewinnbringend.

Zum Auftakt der Tarifverhandlungen sprechen Sie inzwischen auch auf der Bühne der IG Metall Küste. Das ist in anderen Tarifbezirken so nicht unbedingt der Fall. Wieso riskieren Sie da eventuell Pfiffe und Buh-Rufe?
Verantwortung übernehmen heißt, Antworten zu geben. Das steckt in dem Wort drin. Dazu gehört auch, dass ich mich der Situation stelle. Da kann und brauche ich mich nicht zu verstecken. Ich sage meine Meinung, und die anderen sagen ihre Meinung. Wir leben zum Glück in einem Land, in dem das möglich ist. Außerdem haben wir in den fünf Jahren bei den Verhandlungen zwischen Nordmetall und IG Metall Küste eine Kultur des Respekts entwickelt. Ich habe Respekt vor der Situation, aber keine Angst. Wir verhandeln hart, aber auf Augenhöhe. Eine solche Sozialpartnerschaft ist wichtig und sollte vielleicht Vorbild sein für manch andere Situation in unserem Land.

Sie sprechen es selbst an. Inwiefern hat dieses „Miteinander- reden“ trotz unterschiedlicher Ansichten in der Gesellschaft nachgelassen?
Das hat deutlich nachgelassen. Es fängt doch mit dem Zuhören an. Deshalb wage ich mich dort auf die Bühne, weil ich mir wünsche, dass die Gewerkschafter mir zuhören, so wie ich der IG Metall auch zuhöre. Dabei geht es darum zu verstehen, was die Druckpunkte des Anderen sind, aber auch zu schauen, was uns verbindet und wo wir uns vertrauen können. Genau das vergessen wir in der Gesellschaft zunehmend. Und mit einer entsprechenden Bereitschaft von beiden Seiten bekommt man auch Kompromisse hin. Viele haben leider verlernt, ordentlich zuzuhören und die Sichtweise des Anderen verstehen zu wollen. Ich sage da immer: Jeder hat subjektiv zuerst einmal zu hundert Prozent recht.

Und dann?
Dann ist es die große Kunst, dass nicht jeder auf seiner Position beharrt, sondern miteinander den Weg geht zu einer gemeinsamen Perspektive. So entstehen Lösungen.

Und für diese Tarifrunde?
In dieser Tarifrunde haben wir die Chance vorzumachen, wie es gehen kann. Denn es ist eine super schwierige Situation aus unterschiedlichen Interessen, die keine sieben Prozent Entgelterhöhung verträgt – und trotzdem brauchen wir eine gemeinsame Lösung. Wenn wir das schnell hinbekommen ohne aggressiven Konflikt und große Eskalation, kann das eine Blaupause für andere sein, wie man Konflikte löst.

Die Friedenspflicht endet am 28. Oktober. Inwieweit preist man als Arbeitgeber einige Tage Streik mit ein?
Wenn es nach mir geht, brauchen wir keinen Streik. Ich halte in dieser Runde eine schnelle Lösung für angebracht und möglich. Dafür braucht es guten Willen von beiden Seiten. Wenn die IG Metall sagt „Küstenweit streikbereit“, sage ich „Küstenweit lösungsbereit“.

Dann werden Sie am Dienstag also ein Angebot machen?
Wenn Sie mich persönlich fragen, halte ich es für sinnvoll, damit nach vorn zu gehen. Aber wir befinden uns darüber noch in den Gesprächen mit unseren Gremien.

Beim Kampf um Fachkräfte – wie sehr sehen Sie Unternehmen im Vorteil, die Tariflohn zahlen?
Ich bin der Überzeugung, dass das Thema Tariflöhne immer noch zieht beim Recruiting. Es wird aber weniger, weil mein Eindruck ist, dass inzwischen ganzheitlicher  auf alles geschaut wird, nicht mehr nur aufs Geld. Unabhängig davon haben wir viel zu wenig Fachkräfte. Da ist die Politik mehr denn je gefragt, über gezielte Zuwanderung etwas zu bewegen. Da braucht es aber auch mehr Ausbau der Kinderbetreuung, weil sie Arbeit und Familie ansonsten oft nicht ausreichend unter einen Hut bekommen.

Zum Arbeitgeberverband Nordmetall gehören auch Unternehmen aus der Automobilindustrie und deren Zulieferer. Bei denen sieht es gerade nicht so gut aus. Wie müssen Sie dort dann zwischen allen Stühlen sitzen?
Das ist eine kleine Herausforderung. Das alles auszutarieren, ist eine große Kunst. Von außen denken einige vielleicht: Warum braucht so eine Verhandlung so lange? Aber momentan stürzt von Quartal zu Quartal jede Kennzahl ab, und die Wirtschaftsprognosen werden nochmals schlechter. Die Unternehmen im Verband decken alles ab, von klein bis groß und national bis international. Da sage ich immer, dass wir einen Abschluss finden müssen, der für die Fläche verkraftbar ist. Das muss ein Kompromiss sein, den die Unternehmen mehrheitlich umsetzen können. Man darf aber auch die gesellschaftliche Komponente nicht vergessen: Die heißt für mich: Wirtschaftsstandort stärken, Unternehmen und dadurch auch Arbeitsplätze im Land erhalten.

Inwiefern sehen Sie Bremens geplante Ausbildungsabgabe als Eingriff in die Tarifautonomie?
Alles rund um die Strukturen inklusive der Ausbildungsvergütung ist Sache der Sozialpartner. Gleichzeitig sollten regionale Probleme auch regional gelöst werden, statt sie in die Fläche zu tragen. Grundsätzlich halte ich die geplante Ausbildungsabgabe für falsch. Wenn inzwischen Teile der Bremer Regierungskoalition feststellen, dass man sich da vergaloppiert hat, könnten die das ja sagen und damit Mut beweisen. Das würde Glaubwürdigkeit schaffen und viel Steuergeld sparen. Selbst der Bundeswirtschaftsminister gibt inzwischen zu, bei manchem Thema „falsch abgebogen“ zu sein.

Im Tarifbezirk Küste der Metall- und Elektroindustrie sind es 280 Unternehmen und 140.000 Beschäftigte. An der Spitze verhandeln zwei Personen, die gar nicht von hier sind – also Sie aus Baden und auf IG-Metall-Seite Herr Friedrich aus dem Rheinland. Inwiefern kann es auch daran liegen, dass Sie einen guten Gesprächsfaden haben?
Wenn ich da mal eine persönliche Note reinbringen darf: Ich bin inzwischen zehn Jahre hier in Bremen und wurde vom ersten Tag an offen empfangen, bin geblieben und inzwischen verwurzelt. Ich wurde hier offener aufgenommen als in manch anderen Ecken unseres Landes. Aber zurück zur Frage: Es ist wohl eher unser großes Tarifgebiet von Flensburg bis Bremen und von Papenburg bis Neubrandenburg, in dem sowohl Herr Friedrich als auch ich immer alle im Blick behalten müssen. Diese Zuständigkeit für viereinhalb sehr unterschiedliche Bundesländer zwingt uns automatisch dazu, offener zu sein. Und wir bringen durchaus eine gewisse gelernte norddeutsche Gelassenheit mit.

Dieses Interview ist im Achimer Kurier erschienen.