Hessenmetall-Hauptgeschäftsführer Dirk Pollert: „Unsere Firmen haben nicht viel zu verteilen“
Interview mit Dirk Pollert, HessenMetall-Hauptgeschäftsführer.
Herr Pollert, Fachkräfte sind heiß umkämpft. Was wollen Sie vor diesem Hintergrund in den Tarifverhandlungen anbieten?
Für ein Angebot ist es noch zu früh. Wir haben erst einmal den Blick darauf zu lenken, wie die Lage der Metall- und Elektroindustrie ist. Unsere Mitgliedsbetriebe sind sehr in Sorge: Wir haben 15 Prozent weniger Produktion als noch 2018. Die Aufträge sind in den ersten sieben Monaten 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um sieben Prozent zurückgegangen, der Absatz um sechs Prozent und die Exporte um fünf Prozent – deutschlandweit. In Hessen sieht es noch schlechter aus. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres sind die Umsätze hier um 11,7 Prozent gesunken, in der Metallerzeugung sogar um 31 Prozent. Die Zahl der Beschäftigten in der hessischen Metall- und Elektroindustrie ist erstmals seit 2010 unter 200.000 gerutscht. Das macht uns natürlich großen Kummer. Täglich erreichen uns bei Hessenmetall mehr Fragen zu Personalabbau und zum Thema Kurzarbeit. In einer solchen Situation haben wir kein Verständnis für eine völlig unrealistische Forderung von sieben Prozent. Unsere Firmen haben zurzeit keine Gewinne und dementsprechend auch nicht viel zu verteilen. Allein in der Wehrtechnik sehen wir eine Sonderkonjunktur, die sich vor allem in Nordhessen positiv bemerkbar macht.
Wenn sieben Prozent unrealistisch sind, was wäre denn machbar?
Wir fangen mit den Gesprächen ja erst an, und es ist üblich, erst einmal zu schauen: Wie schätzt die jeweils andere Seite die Situation ein? Die IG Metall sitzt ja in Aufsichtsräten, und die Betriebsräte wissen in jedem Einzelfall, wie es den Firmen geht. Wichtig ist uns, den am Ende vereinbarten Kompromiss auch passbar machen zu können für Unternehmen, denen es nicht so gut geht. Dafür haben wir in den vergangenen Jahren erfolgreich das Instrument der automatischen Differenzierung getestet, von der hier in Hessen in diesem Jahr 43 Betriebe Gebrauch gemacht haben. Für uns ist wichtig, dass dieses Instrument dauerhaft in die Tarifverträge übernommen wird.
Was ist das für ein Automatismus?
Die Regelung sieht vor, dass Unternehmen mit einer Netto-Umsatzrendite von weniger als 2,3 Prozent bestimmte Entgeltbestandteile streichen können. Es geht dabei um eine jährliche tarifliche Sonderzahlung, genannt T-ZUG B, das sind rund 580 Euro. Wenn die Netto- Umsatzrendite unter 2,3 Prozent fällt, kann diese normalerweise im Juli fällige Zahlung vom Arbeitgeber auf den April des Folgejahres verschoben werden. Wenn es dann immer noch düster aussieht, kann dieser Bestandteil auch ganz entfallen.
Rechnen Sie angesichts der schwierigen Lage damit, dass diese Regelung künftig häufiger zum Tragen kommen wird?
Das kann wahrscheinlich zurzeit keiner sagen. Aber die Regelung hat sich bewährt, und sie gehört dauerhaft in den Instrumentenkoffer kluger Tarifwerke. Was uns im Übrigen Kummer macht, ist die Forderung, die monatliche Ausbildungsvergütung um 170 Euro zu erhöhen. Das wären 14 Prozent mehr als bislang. Unsere Ausbildungsvergütungen liegen im Vergleich mit anderen Branchen im oberen Drittel und: Wer bei uns ausgebildet worden ist, kann sich danach auf Durchschnittsgehälter von 50.000 bis 60.000 Euro in absehbarer Zeit freuen – das macht die Ausbildung attraktiv. Ich fürchte, wenn man die Ausbildungsvergütung kräftig erhöht, wird das eine oder andere Unternehmen schlichtweg weniger ausbilden. Zuletzt wurden in der hessischen Metall- und Elektroindustrie immerhin 10.000 Ausbildungsplätze angeboten.
Aber es gibt doch Probleme, die Ausbildungsplätze zu besetzen.
Das ist ein Marketingthema, einige Unternehmen müssen schauen, wie sie sich ins richtige Licht setzen. Außerdem bleibt es jedem Arbeitgeber überlassen, eine übertarifliche Vergütung zu zahlen. Wenn ein Arbeitgeber in einer ländlichen Region sagt: Ich bin bereit, da draufzulegen, dann steht ihm das jederzeit frei.
Oder wenn in Frankfurt bei 1080 Euro monatlich im ersten Lehrjahr nach Abzug der Miete nur die Hälfte bleibt.
Das ist nicht üppig, aber es gibt auch Auszubildende, die bei ihren Eltern leben. Und wir können die Ausbildungsvergütung nicht nach den Wohnkosten in verschiedenen Regionen staffeln.
Was sagen Sie zu der Forderung nach einer „sozialen Komponente“ für die unteren Entgeltgruppen?
In der niedrigsten Entgeltgruppe bekommt ein Beschäftigter bei uns 42.000 Euro, bei einer Anlernzeit von vier Wochen. Diese Stellen sind natürlich unter einem besonderen Automatisierungsdruck, weil man sie leichter als andere durch Roboter oder Künstliche Intelligenz ersetzen kann. Ob es schlau ist, die Kosten in diesem Bereich besonders zu erhöhen, da habe ich große Zweifel.
Abseits der Vergütung: Die Gewerkschaft würde gerne die Option ausweiten, Gehaltsbestandteile in freie Tage umzuwandeln, für Kinderbetreuung und die Pflege von Angehörigen.
Wir werden uns die konkreten Vorstellungen dazu anhören und uns damit beschäftigen – wer kann wandeln, wie viel und wie genau sind die Konditionen. Aber wir haben ein großes Kostenproblem, und das müssen wir im Blick haben bei der Diskussion.
Aber wenn Beschäftigte diese Option ziehen, kriegen sie ja weniger Geld.
Die acht zusätzlichen freien Tage, die für bestimmte Gruppen derzeit möglich sind, sind für den Arbeitgeber letztlich teurer als der Geldbetrag, auf den die Beschäftigten verzichten.
Dieses Interview ist in der F.A.Z. Rhein-Main-Zeitung erschienen.